Habe Kerstin von ‚Chaos²‘ versprochen, einen Gastbeitrag für ihren Blog zu verfassen. Nach meinem Artikel über das Käsekuchenbacken mit dem Sohn hatte sie mich gefragt, ob ich nicht einen Plätzchenback-Artikel für ihren Adventskalender schreiben wolle. Und ich habe zugesagt.
Nun habe ich den Salat. Sehe vor meinem geistigen Auge, wie die germanistisch gebildeten und der Hochliteratur zugewandten ‚Chaos²‘-Leserinnen und -Leser ob der originellen Verwendung einer Essensmetapher in einem Backartikel ekstatisch jubelnd aufspringen. Und Kerstin fragt sich wahrscheinlich gerade, ob es wirklich eine gute Idee war, mich um einen Gastbeitrag zu bitten.
Ich muss Plätzchen backen und darüber bloggen. Als erstes muss ich mir aber Unterstützung suchen. Denn niemand möchte davon lesen, wie ein bärtiger Zausel Plätzchen backt. Schon gar nicht auf einem Familien-Blog. Da braucht es einen niedlichen Side-Kick. Tiere und Kinder ziehen da immer.
Frage als erstes unseren Furby, ob er mit mir backen will. Er will nicht. Das gibt er mir mit einem lauten Furzgeräusch zu verstehen. Danach kichert er debil. Alles wie immer!
Schlage also der Tochter vor, gemeinsam mit mir für einen Artikel zu backen.
- „Kommt das dann auf deinen Blog?“
- „Nein, ich schreibe den Artikel für eine andere Bloggerin.“
- „Weiß die Mama das?“
- „Was weiß die Mama?“
- „Na, dass du mit einer anderen Frau bloggst.“
- „Muss ich sie denn um Erlaubnis fragen?“
- „Nö.“
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Nachdem das geklärt ist, willigt die Tochter schließlich in unser gemeinsames Backprojekt ein. Allerdings besteht sie darauf, dass wir dabei Rolf Zuckowskis Weihnachtsbäckerei hören. Mir läuft ein kalter Schauder über den Rücken. Auf mich hat die Musik dieses Abgesandten aus der Kindermusik-Hölle nämlich eine ohrwurmige Wirkung und sie verfolgt mich immer noch tage- und wochenlang später. Wer einmal in der U-Bahn von anderen Mitfahrenden kritisch gemustert wurde, weil er unbewusst „Guten Tag, ich bin der Nikolaus“ vor sich hin gepfiffen hat, weiß wovon ich schreibe.
Die Tochter ermahnt mich noch, ich solle aber gefälligst nicht so viel Unfug wie beim Käsekuchenbacken machen. Sonst dächten die Leute noch, wir seien ein bisschen plemplem. Vor allem ich. Verspreche ihr, dass ich mich bemühen würde, ein von Vätern sozial erwünschtes Verhalten an den Tag zu legen. Die Tochter schaut mich skeptisch an und zieht dabei die rechte Augenbraue nach oben.
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Nachdem wir die Folter-CD eingelegt haben, können wir loslegen. Wir wollen Erdnuss-Kekse backen. Während ich das alte Familienrezept meines angeheirateten Onkels aus den USA suche, trällert Herr Zuckowski im Hintergrund von dem verschleppten Rezept und höhnt, wir müssten die Kekse wohl frei Schnauze backen. Finde es schließlich doch und strecke dem CD-Player die Zunge raus. Die Tochter runzelt missbilligend die Stirn.
Als erstes kontrollieren wir die Zutaten:
- 200 g Biskin [Für amerikanische Plätzchen ist normale Butter anscheinend nicht fett genug.]
- 200 g Zucker
- 200 g Rohrzucker (braun) [Die einfache Menge Zucker wäre eines amerikanischen Rezeptes nicht würdig.]
- 2 Eier
- 360 g Mehl
- 5 Teelöffel Salz
- 2 Teelöffel Backpulver
- 1 Päckchen Vanillezucker
- 250 g Erdnusscreme (mit Stückchen)
- 1 Portion Frikadellen [Diese sind nicht Bestandteil des Originalrezepts, sind aber unerlässlich, um einen geschmacklichen Kontrapunkt zum süßen Teig, von dem ausgiebig genascht werden muss (so will es das Plätzchenbackgesetz), zu setzen.]
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Wie es sich für amerikanische Kekse gehört, zeichnen sie sich durch eine extrem hohe Kaloriendichte aus. Ein einziger Keks reicht aus, den Kalorienbedarf eines Astronauten auf einer mehrwöchigen Weltraummission abzudecken. Gerüchten zufolge soll das Rad-Team von Lance Armstrong auf schweren Etappen bei der Tour de France diese Kekse als Wundermittel gegen den am Berg drohenden Hungerast eingesetzt haben.
Der auf den ersten Blick extrem hohe Fettanteil der Kekse durch das Biskin und die Erdnusscreme ist im Übrigen notwendig, damit der Körper das Vitamin B und E der Erdnüsse optimal aufnehmen und verwerten kann. Vitamin B ist bekanntlich gut für die Gehirnleistung, Vitamin E sorgt wiederum für junge Haut, wirkt Alzheimer entgegen und verhindert Unfruchtbarkeit.
Frage mich allerdings, was es mir hilft, wenn ich durch den Verzehr der Kekse mit einem jugendlichen Teint und den intellektuellen Kapazitäten eines Albert Einsteins ausgestattet bin und über die Potenz und Libido eines brünstigen Zuchtbullens verfüge, aber gleichzeitig so fett bin, dass sich keine Partnerin zum Vollzug des Geschlechtsaktes bereit erklärt. Aus dem entgeisterten Gesichtsausdruck der Tochter schließe ich, dass ich diese Gedanken anscheinend nicht in meinem Kopf erörtert, sondern laut geäußert habe.
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Beginnen nun mit der Zubereitung des Teigs. Mich sklavisch an das Onkel-Rezept haltend werfe ich alle Zutaten in eine große Schüssel. Just in dem Moment als unser erstes Ei versehentlich auf der Arbeitsplatte statt in der Schüssel landet, singt der olle Rolle im Hintergrund schelmisch von dem Ei, das vorbei geht. Dann höhnt der als Kinderbarde getarnte Anti-Christ, dass zwischen Mehl und Milch so mancher Knilch eine riesengroße Kleckerei mache. Knurre, dass ich das nächste Ei gerne in den CD-Player versenken könne, wenn er nicht den Rand hält. Die Tochter schaut mich etwas ängstlich an.
Nachdem sich endlich alle Zutaten inklusive eines Ersatzeis in der Schüssel befinden, beginnen die Tochter und ich diese zu verkneten. Ignoriere, dass uns Rolf Dummkowski fragt, ob die Finger auch rein seien und uns als Schwein beschimpft. Impertinenter Spießer!
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Nehme mir nun einen großen Löffel und erkläre der Tochter scheinheilig, ich müsste kosten, ob der Teig auch wirklich lecker sei. Die Tochter maßregelt mich, das ginge nicht, sonst bliebe nicht genügend Teig für die Kekse übrig. Eine sehr vernünftige Einstellung. Irgendwie aber auch erschreckend erwachsen und von einer dem Calvinismus entlehnten Ablehnung aller irdischen Freuden durchdrungene Haltung.
Ihre Lustfeindlichkeit scheint aber nicht besonders stark ausgeprägt zu sein, denn im nächsten Moment steckt sie sich selbst einen erstaunlich großen Klumpen Teig in den Mund. Auf meine entgeisterte Frage, warum sie das dürfe, ich aber nicht, erklärt sie mit ernster Miene, bei ihr sei das etwas anderes, denn sie sei noch ein Kind.
Das wiederum ist eine sehr gerissene, geradezu egoistische und nur auf den eigenen Vorteil bedachte Einstellung. Damit qualifiziert sie sich, später einmal die erste weibliche Vorsitzende der FDP zu werden. Also, falls es die FDP in zwanzig bis dreißig Jahren noch geben sollte.
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Die unschöne Vorstellung von der Tochter in einer Reihe mit Otto Graf Lambsdorff, Klaus Kinkel und Guido Westerwelle beiseite schiebend fange ich an, aus dem Teig kleine Kugeln zu formen, sie auf dem Backblech zu verteilen und sie mit einem Löffel platt zu drücken. Die Tochter hilft und kreiert mit einer Gabel hübsche Muster auf die Teigflatschen. Bei 175 Grad schieben wir das erste Blech für zehn Minuten in den Ofen.
Aufgrund der großen Teigmenge müssen wir insgesamt sechs Fuhren Kekse produzieren. Unerbittlich begleitet uns Rolf Blödkowski mit seinen Kinderminions und prügelt uns seine in triviale Paarreime gezwängten Weihnachtsweisheiten in den präfrontalen Kortex. Mein linkes Augenlid zuckt unkontrolliert aber rhythmisch im Takt. Bin versucht, mir Teig in die Ohren zu stecken, verspeise ihn aber stattdessen.
Der Tochter wird die Backerei auf Dauer zu langweilig. Sie beschränkt sich auf die Rolle der kritischen Supervisorin. Mehrfach sieht sie sich veranlasst, mich darauf hinzuweisen, dass die von mir geformten Kugeln nicht gleichmäßig genug sind. Des Weiteren nascht sie ab und an vom Teig, um sich zu vergewissern, dass er noch den erforderlichen Qualitätsstandards entspricht. Steige selbst auf die Konter-Frikadellen um zur Bekämpfung des aufkommenden Sodbrennens.
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Nachdem der ganze Teig verbacken ist, stehen wir erschöpft vor einem Berg schmutziger Schüsseln, Bleche und Löffel. Ahnend, dass jetzt das Saubermachen ansteht, verzieht sich die Tochter mit der haarsträubenden Erklärung, sie müsse unbedingt Geige üben, in ihr Zimmer.
Gehe ins Wohnzimmer zur Freundin und sage, ich fände es schön, wenn sie mich beim Bloggen unterstützte, indem sie die Küche aufräumte. Sie erwidert, dass sei überhaupt kein Problem, in der Zwischenzeit könnte ich die 48 kleinen Päckchen für die Adventskalender der Kinder fertig einpacken. Erkläre eilig, dass ich mit der Küche auch alleine zurechtkäme.
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Zurück in der Küche probiere ich ein paar der fertigen Kekse. Sie schmecken auch in gebackenem Zustand ganz vorzüglich. Ein bisschen übel ist mir dennoch. Bin mir unsicher, ob das von der vielen Nascherei oder doch von der Foltermusik von Rolf Kotzkowski kommt. Tippe auf Letzteres!