Es ist Juli! Für euch mag das nur ein Sommermonat sein, aber ich bin heute mit nervösem Kribbeln aufgewacht. Keine ängstliche Nervosität, sondern diese kribbelige Anspannung an einem ganz außergewöhnlichen Tag. Es ist Juli!
Heute vor zwei Jahren war auch der 1. Juli. (Überrascht euch, oder?) Es war Montag. Und ich war hochschwanger mit Zwillingen. Am Wochenende hatte ich die 36+0 erreicht! Nahezu unbeweglich, ziemlich aufgedunsen, aber ich war noch immer schwanger. Obwohl es Juli war!
Ich hatte es allen gezeigt. Wir hatten es allen gezeigt. Juli war meine magische Grenze. Kaum einer wollte glauben, dass ich im Juli noch schwanger sein würde. Mit Zwillingen. Doch ich hatte immer nur Juli erreichen wollen. Dann wären wir in Sicherheit. „Juli wäre super!“ hatte mein Frauenarzt damals zu Beginn der Schwangerschaft gesagt. Es ist Juli!
Lange war er auch (neben meinem Mann und mir als einzige) zuversichtlich, dass ich Juli erreichen würde. Nichts sprach dagegen. Und dann wurde ich am Ende doch angezählt. Exakt 14 Tage vorher bei einem Termin sah es dann doch nicht mehr nach Ewigkeiten aus. Die Anzeichen für ein baldiges Ende der Schwangerschaft tauchten auf. „40 Wochen erreichen Sie nicht mehr.“ Die Aussage war typisch und bedeutete übersetzt: Jetzt heißt es Endspurt. Jetzt zählt jeder Tag. Kämpfen. Zittern.
Ich wollte Juli erreichen. Juli war meine Ziellinie. Und seit ich mir in den Kopf gesetzt hatte, nicht in der riesigen Klinik entbinden zu wollen, seit dieses Ziel im Bereich des möglichen gelegen hat, seitdem wollte ich es noch aus einem anderen Grund: Vor 36+0 würde man mich in meinem Wunsch-Krankenhaus nicht entbinden lassen.
Ich lag den restlichen Juni flach. Ich stand auf, um zu duschen. Ich stand auf, um zur Toilette zu gehen. Ich stand auf, um vom Sofa zum Bett zu wechseln. Ansonsten lag ich und horchte in mich herein. Jeder einzelne Tag war so wichtig. Der Bauch schmerzte permanent und fühlte sich an, als müsse er bald platzen. Der kleine Sonnenschein, der führende Zwilling, drückte massiv nach unten. Ich spürte ihn die ganze Zeit. Auf dem Ultraschall hatte man seinen Kopf nicht mehr darstellen können. Zu tief.
Jeder Tag zählte. Jeder einzelne. Da war mein Trotz. Da war meine Anspannung. Da waren meine Sorgen. Letzteres für viele hier mitlesende Zwillingsschwangere sicherlich auf verdammt hohen Niveau. 😉 Ich weiß. Ich zitterte um 36+0, nicht um das knappe Erreichen wichtiger Marken viel früher. Aber für mich war Juli so wichtig. Eine Zielmarke, die mir kaum einer zugetraut hatte.
Und dann war auf einmal Juli. Es war Montag. Und ich hatte Juli erreicht! Das war der Tag, an dem die Anspannung wich. Es war zugleich auch der Tag, an dem dann alles beginnen sollte. Aber da war ich nicht mehr nervös. Es war Juli. Wir waren in Sicherheit.
Heute vor zwei Jahren lag ich halb liegend, unbeweglich auf meinem Sofa und war extrem erleichtert. Ich hatte es geschafft. In wenigen Stunden – genauer gesagt um 12:00 Uhr – würde ich mit dem Taxi zu meinem Arzt fahren. Ein Kontrolltermin, den er schon leise angezweifelt hatte. Ich würde ihn noch wahrnehmen! Heute vor zwei Jahren würde ich am späteren Nachmittag vor meinem Mann dann eingestehen, dass ich nicht mehr kann.
Heute vor zwei Jahren fiel die Anspannung ab. Ich war erleichtert und ich hatte das Gefühl, dass ich nun wirklich nicht mehr kann. Heute vor zwei Jahren lag ich am frühen Abend in unserer Wohnung und wartete auf den RTW, den ich selber gerufen hatte (ich mochte mich in kein Auto mehr quetschen) und war tiefenentspannt. Der Führende hatte soeben seine Fruchtblase zerdeppert. Alles war ok. Es war Juli.
Es ist Juli. Es ist 6:00 Uhr in der Früh. Meine kleinen Zwillinge schlafen noch. Hin und wieder höre ich sie murmeln über das Babyphone. Es ist Juli und ich bin mit diesem Kribbeln aufgewacht. Ich sitze auf dem Sofa. Ganz leise. Ich höre die Zwillinge und ich streichel meinen großen, runden Bauch. Das Krümelchen ist ausnahmsweise ruhig und ist bestimmt auch ganz gerührt. Es ist Juli!
Eure Kerstin
P.S.: Nein, heute ist nicht der Geburtstag der Zwillinge. 😉 Ihr braucht nicht zu gratulieren.