Sonnenschein und Prinzessin suchten schon immer die Nähe zueinander und Trennungen mögen sie bis heute überhaupt nicht. Der andere fehlt dann spürbar. Sie interagierten auch früh miteinander, steckten sich gegenseitig Schnuller in den Mund, lachten sich an, forderten sich zum Spiel auf. Aber erst jetzt mit zwei Jahren packen sie die ganze Palette der Geschwisterlichkeit aus.
Sie können nicht ohne einander und oft genug können sie nicht miteinander. Zwillinge sind Geschwister, besondere Geschwister.
Eifersucht, Zank und Streit…
…gibt es hier um alles und wegen jeder Kleinigkeit.
Morgens gibt es Wutanfälle, wer zuerster Krümel duten Morgen sagen darf und wie lange der Krümel beim jeweiligen Zwilling auf dem Kopfkissen liegen bleibt. Das geht dann mit dem Einschenken des Kakao so weiter und endet nach lange nicht beim Füllen der Müsli-Schüsseln. Als Elternsicht ist dieser Streit zwar eine ziemliche Lärmbelästigung, da die Forderungen mit stark zunehmender Lautstärke zweistimmig wiederholt werden, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist, aber dann ist auch wieder Ruhe. Relativ simpel, denn am Ende ist doch egal, wer zuerster dran war, wenn nur beide kriegen, was sie wollen.
Das ist mein Bagga! Ich will das haben! Ich will… Ja, das liebe Spielzeug. Es ist bei uns eigentlich nicht nur in einfacher Ausführung vorhanden, aber der eine Zwilling will halt grundsätzlich auch genau das, was der andere gerade hat. Du muss taussen! Tauschen geht eigentlich nur mit Gegenangebot, aber wenn man die Forderung brüllt, kann das auch reichen?! Du muss abwechseln! Sprach’s und reißt es dem Zwilling aus der Hand. Der wehrt sich und haut mit dem Spielzeug zurück. Dann kann man ja an den Haaren ziehen… so eine Meinungsverschiedenheit kann ziemlich handgreiflich, laut und tränenreich werden. Oft genug ist jeder Schlichtungsversuch vergebens und der Schlichter wird ebenfalls mit Wuttiraden und Verzweiflungstränen bedacht.
Eine besonders schöne Variante ergibt sich aus Dingen, die eigentlich nicht für Kinderhände gedacht sind. Ich will die Parkseibe haben! Ich will Toradlüssel (Motorradschlüssel) haben! Ich will… und das Elternteil denkt sich bei der neunten Wiederholung in ansteigender Lautstärke: Was soll‘s, dann kann er/sie halt damit spielen. Im schlimmsten Fall müssen wir halt ewig danach suchen später. Und begeht daraufhin den größtanzunehmenden Fehler, einen erfüllbaren Wunsch zu erfüllen. ABBA ICH WILL DIE PARKSEIBE HABEN! ICH WILL TORADLÜSSEL AUCH HABEN!!! Der andere Zwilling mag bis dahin völlig desinteressiert gewesen sein, ab dem Augenblick des Verstummens seines Geschwisterchens scheint Alarm ausgelöst worden zu sein. Der hat seinen Willen gekriegt! Der hat was, was ich gerade nicht habe! (Und eigentlich auch gar nicht wollte…) Und schon geht es in doppelter Lautstärke weiter. Leider haben wir nur einen Motorradschlüssel und nur eine Parkscheibe…
Push it, Baby!
Zwillinge sind hin und wieder eine Kettenreaktion in Miniaturformat. Ein Zwilling – bei uns in drei von vier Fällen Sonnenschein – kommt auf eine geniale Idee, die seine Eltern als eher nicht optimal bis grober Unfug einstufen würden. Das kann Fangen spielen im Supermarkt sein oder Nudel-Weit-Wurf beim Mittagessen, Fußbodenreinigung mit Babyöl oder ein Kreisch-Konzert zur effektiven Beendigung des Krümelschen Nickerchens bzw Erlangung der elterlichen Aufmerksamkeit. Es ist ziemlich egal was, der Zwilling hat immer sofort einen Mitspieler, der seinerseits dann noch ergänzende Ideen beisteuert. Unter gegenseitigem Beifall steigert man sich in ungeahnte Leistungshöhen.
Angenommen einer der Zwillinge hätte Laune, wie der Sonnenschein es so freundlich ausdrückt, und würde gerade einen lautstarken Wutanfall darbieten. Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass dieser ungemütliche Geräuschpegel und der fühlbar erhöhte Stresspegel dazu führt, dass der zweite Zwilling mit macht. Dabei muss es gar nicht um die gleichen Inhalte gehen, sondern einfach nur ums Laune haben. Gerne im Wettstreit, wer am lautesten Laune haben kann und damit hoffentlich die meiste Aufmerksamkeit erlangt. Fängt einer an, dann zieht der andere mit. Einfach um zu vermeiden, dass das eigene Anliegen im HokusPokus des Zwillings untergeht, wird ebenfalls das volle Programm aufgefahren.
In ihrer doppelten Miniatur-Pubertät scheinen die beiden sich gerade gegenseitig anzustacheln und zu verstärken: Trotzphase* in Zwillingsintensität. Ganz abgesehen davon, haben wir quasi die doppelte Wahrscheinlichkeit auf einen Auslöser, denn wir mit zwei Zweijährigen hat man eben auch zwei, die sich urplötzlich und unvorhersehbar in einer schweren Krise wiederfinden können.
Große Geschwisterliebe und zuckersüße Lieblingskinder
Wer aber gerade so schön lernt, zu streiten und sich auseinanderzusetzen, seinen Willen zu formulieren und durchzusetzen, der kann auch mit ganz anderes. Mama ich hab dich lieb. Und ich schmelze dahin. Ich pass auf Krümel auf. Ich geb Tüsschen dem Krümel! Ach wie schön.
Schmunzeln muss ich jedes Mal wieder, wenn der Sonnenschein seiner weinenden Schwester den Arm umlegt und sagt „Ich töte dich!“ Erstens heißt das übersetzt tatsächlich „Ich tröste dich!“ und zweitens weint sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, weil die beiden sich zwei Sekunden zuvor noch wegen irgendwas handgreiflich gestritten haben. Aber ich verkneife mir das Lachen und warte ab, bis aus der innigen gegenseitigen Umarmung wieder ein Ringkampf geworden ist.
Eure Kerstin, die hiermit auch hoffentlich zum letzten Mal über diese schöne Phase mit zweijährigen Zwillingen schrieb.
P.S.: Ich will nicht zuviel verraten, aber das ganze findet bestimmt noch einen versöhnlichen Abschluss. 😉
*nennt man heute anders, aber das passte so schön.