Es war ein ganz durchschnittlicher Tag in den letzten Wochen. Wir fahren Auto. Die ganze Familie. Ein Schrei! von der Rückbank: “Daaaaa! Papa! Daaaaa! Da ist die Hanne LOREKraft!”
Der Traummann reißt die Augen auf, das Bein zuckt kurz über der Bremse, er hebt irritiert die Augenbraue. “Wie bitte?” fragt er seine wild mit den Armen wedelnde Tochter.
“Da ist die Hanne Lorekraft! Da!”
Jetzt gilt der Blick und die hochgezogene Augenbraue des Fahrers seiner Beifahrerin. Mir. Woanders kann sie das herhaben. Tja, also das war so:
Ein weiterer durchnschnittlicher Tag auf der Rückfahrt vom Kindergarten. Die Zwillinge erzählen überschreien sich gegenseitig mit den Erlebnissen aus dem Kindergarten. Doch das hält nicht lange an. Die beiden sind schließlich neugierige, aufmerksame Dreijährige und seit einiger Zeit ist unsere Fahrtstrecke vollgepflastert mit lustigen Bildern.
“Mama, wer ist das?” Diese Frage kenne ich. Zu gut. Ich muss die Namen aller Personen auf Fotos, in Kinderbüchern, auf Zeitungen und auch in Katalogen und Prospekten herausrücken. Immer. Einzig bin ich kurz irritiert, um wen es gerade geht. “Wen meinst du, Sonnenschein?”
“Den da!” Er meint das Wahlplakat. “Das ist Armin Laschet.”
“Und wer ist das?” will nun seine Zwillingsschwester wissen. “Das ist Hannelore Kraft.”
“Und warum hängt die Hannelore da?” Ähm… ja… gute Frage: “Es ist Wahlkampf. Das ist ein Wahlplakat.”
“Was ist Wahlkampf?” Warum? Warum treffen mich solche Diskurse immer so unvorbereitet? Uff.
“Also das ist so,” beginne ich mich unbeholfen um Kopf und Kragen zu reden: “die Erwachsenen haben Bestimmer und Chefs. Die Hannelore Kraft ist gerade Chef hier gemeinsam mit anderen.” Ich werde in meinem sehr kruden Versuch den Begriff einer Regierung zu erklären zum Glück unterbrochen. Solange kann ein Dreijähriger eben nicht ohne neue W-Frage zuhören: “Was bestimmt die Hannelore denn?”
Ich habe die volle Aufmerksamkeit meiner beiden Erstgeborenen und komme ins Schwitzen. Darauf bereitet einen ja auch keiner vor! Wie erklärt man das?
“Also die Regierung und das Parlament – so heißen die Bestimmer – legen die Regeln fest. Sie machen Gesetze und schaffen den Rahmen für unser Zusammenleben.” Ok, das war vielleicht zu wild? Aber im Rückspiegel sehe ich die Prinzessin bedächtig nicken. Sie denkt auf meinen Worten rum.
“Mama, warum hängt die Hallore denn jetzt da?” findet Sonnenschein die nächste W-Frage. “Es sind Wahlen. Die Erwachsenen dürfen bestimmen, wer demnächst Chef sein darf. Die Hannelore und der Armin wollen wie viele andere, dass wir sie aussuchen.” Das leuchtet ein. Die Zwillinge wollen auch gerne Bestimmer sein.
“Wer ist denn das?”, kurz bin ich erleichtert, dass wir von den grundsätzlichen Fragen über die parlamentarische Demokratie hinweg sind (abgefragte Namen widergeben ist klar die einfachere Aufgabe für eine unvorbereitete Mutter), als ich den letzten Blick auf das Plakat erhasche, um das es geht: “Ähm das ist… äh? Bianca?”… “Bianca? Wie heißt die Bianca genau?”… “Das weiß ich nicht. Das steht da nicht.” Wer bitte denkt sich orangene Plakate mit orangener Schrift aus und lässt Bianca auch noch eine orange Bluse tragen? Das einzige, was ich im Vorbeifahren lesen kann ist das höhnische “Besser Bianca!” und der spontane Gedanke meinerseits: “Besser eine neue Agentur beauftragen?”
Bianca bleibt namenlos, ich sehne da Ende der Fahrt herbei und erkläre nebenbei, warum der Pirat auf dem Plakat so böse guckt, wer ihn geärgert hat und warum ich denn von dem auch schon wieder den Namen nicht weiß.
Zeit, die Bestimmer mitzubestimmen
Wir sind mitten in einem dieser sogenannten Superwahljahre. An diesem Wochenende sind hier in NRW Landtagswahlen. In Zeiten, in denen sich nicht nur Europa scheinbar politisch neu orgientiert, je nach Sichtweise revolutioniert oder verliert. Die Kräftegefüge in der Parteienlandschaft werden durchgerüttelt und selten waren Wahlprognosen so wenig wert wie aktuell.
Ich gehe morgen wählen. Wir alle werden zusammen wählen gehen. Die komplette Familie. Denn nicht nur die Zwillinge wissen, dass man es ausnutzen muss, wenn man den Bestimmer bestimmen kann.
Die Zwillinge sind noch zu klein, um mit ihnen wirklich über Politik zu reden. Wir bleiben auf dem Niveau der Plakat-WerIstDas?-Fragen. Das große Weltgeschehen darf und soll noch ohne sie stattfinden. Aber wir bestimmen/wählen für sie mit. Als Eltern geben wir auch ihren Bedürfnissen eine Stimme, denn es geht um ihre ganz konkrete Gegenwart (Familienpolitik!) und die Gestaltung ihrer Zukunft.
Ich habe fest vor, ihnen alle Fragen, die sie im Laufe ihres Lebens haben werden, nach meinem Vermögen und für ihr Alter angemessen zu erklären. Auch wenn sie mich damit JETZT schon so übel ins schwitzen bringen. Ich erinnere mich an unzählige Abende, an denen ich mit meinem Vater die Tagespolitik diskutiert habe. Da war ich schon deutlich älter als meine eigenen Kinder heute, aber es bleibt mir im Kopf als Vorbild.
Ich wünsche mir Kinder, die auch als Jugendliche und Erwachsene weiter neugierig bleiben und nachfragen. Ich möchte meine Kinder zu politischen Menschen mit eigener Meinung erziehen. Menschen, die eine Stimme haben, sie nutzen und auch bei Wahlen abgeben. Ich werde mich bemühen, ein Vorbild zu sein.
Ich gehe wählen.
Eure Kerstin