geschlossener Spielplatz Pandemie

Ausnahmezustand Pandemie: Eine von vielen Perspektiven

Alles anders als sonst. Auf links gedreht.

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Plötzlich ist alles anders. Die Familie alleine zu Hause. Keine Schule, kein Kindergarten, kein Büro, keine Ausflüge in den Zoo, kein Treffen mit Freunden. Der eigene Bewegungsradius wird klein. Sehr klein. Drumherum wirkt etwas großes und unüberschaubares. Groß, weil es die ganze Welt betrifft. Groß, weil die Pandemie bedrohliche Ausmaße annimmt. Groß, weil sie jeden Aspekt des Lebens so vollständig zu verändern scheint. Groß, weil sie den Alltag vollständig verändert, weil sie alles verdreht, Belastungen massiv verschiebt. Beruflich, privat, gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich. Dabei sind die Auswirkungen für viele sehr unterschiedlich. Junge kinderlose Paare haben sicherlich gerade sehr viel mehr Zeit, wenn sie vorher in ihrer Freizeit sehr untriebig waren, denn Konzerte, Kinobesuche, Shoppingtouren, Clubbesuche, Und was weiß ich: ausgesetzt. Ja, die mag man mit den großartigen Ideen kriegen, jetzt doch endlich mal zu machen, was sie immer schon machen wollten. Zeit sich Stricken beizubringen, den Kleiderschrank auszumisten, die Platten alphabetisch zu sortieren und Tolstoi zu lesen: oder einfach Netflix vollständig durchzusehen. Feel free. Bewohner*innen von Pflegeheimen, deren einziges Highlight der wöchentliche Besuch der Kinder oder die Probe des Kirchenchors waren, haben da eine ganz andere Perspektive. Eltern, die plötzlich neben dem Job noch ein, zwei, drei Kinder ganztags betreuen und unterrichten müssen, kennen weder Einsamkeit, noch Ruhe, noch Langeweile. Sie sind plötzlich über alle Maße mehrfach belastet, wenn die hart erarbeitete Vereinbarkeit sich gerade so gar nicht mehr vereinbaren lassen will oder vielmehr Familie, Schule und Beruf verschmolzen sind. Räumlich, zeitlich, vollständig. Es gibt Berufgruppen, deren Arbeit vollständig ruht, selbst mit viel Kreativität zum Stillstand verdammt ist. Berufstätige, Angestellte, Freiberufler, Selbstständige, die von jetzt auf gleich nicht nur extrem viel Zeit sondern auch ganz heftige Existenzangst haben. Plötzlich ist da nichts mehr. Es gibt Berufsgruppen, die früher gerne belächelt, vor allem aber schlecht bezahlt wurden, die wir nun systemrelevant nennen. Weiter in den Kommentaren…

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Dieser Beitrag kann Werbung enthalten, wenn du mehr darüber erfahren willst,
findest du am Ende des Beitrags ausführliche Worte dazu meinerseits.

(Familien)Alltag als Herausforderung

Die Herausforderungen sind sehr unterschiedlich und jeder völlig anders betroffen, belastet. Unsere Sorgen sind nicht erdrückend, finanziell sind wir in keiner bedrohlichen Situation, in vielen Punkten sind wir privilegiert.

Mein absolut letztes Problem ist gerade, wie ich mich und die Kinder beschäftigen sollte.* Wir leben den Ausnahmezustand mit Home-Kindergarten-Schule-Office zu fünft in weitestgehender Isolation.

Ein Tag in unserer zweiten Woche nach Schulschließung:

7:00 Uhr // Ich stehe mit den Krümel auf, bin selber wie erschlagen, denn ich habe kaum geschlafen. Wer schläft auch gerade schon tief und fest?
Der Traummann ist vor dem Morgengrauen ins Büro, denn er muss (wie ich) weiter arbeiten, gilt dabei auf verquere Art als systemrelevant und sitzt nun Stunden im innerstädtischen Büro ab.

8:00 Uhr // Es gibt Frühstück – ohne Regeln und Routinen. Mir ist es gleich, wer von uns bereits angezogen erscheint (außer bei meiner Wenigkeit) und wer Müsli möchte oder lieber ein Brot. Aktuell geht hier alles klar und ich den Weg des geringsten Widerstands.
Ich trinke Kaffee, sogar eine dritte Tasse noch, wie sonst nur am Wochenende. Die Kinder wurschteln herum, wir lesen Zeitung und reden. Wir reden sehr viel gerade.

9:00 Uhr // Ein Kind war schon vor dem Frühstück angekleidet, die anderen beiden finden meine Erinnerung daran auch jetzt noch total überflüssig und ich bremse mich ab, sie zur Ordnung zu ermahnen.
Klar, helfen Strukturen und Regeln; für viele ist es im Home Office essentiell sich nicht “gehen zu lassen”, um effizient zu arbeiten. Aber es sind Kinder, wir haben Ausnahmezustand, egal wie sehr wir versuchen trotzdem einen Familienalltag zu leben. Dieser Ausnahmezustand ist stressig und muss nicht stressiger werden, ich gebe nach.

Ruhr Nachrichten Coronavirus
Guten Morgen, Corona. Allgegenwärtiges Thema – auch auf der Kinderseite

Eigentlich läuft hier gerade alles anders, als es eigentlich sollte

Eigentlich wollen wir mit den Aufgaben für die Erstklässler beginnen, die einen Wochenplan bekommen haben von ihrer Lehrerin. Eigentlich versuche ich immer mit Mathe und Deutsch zu beginnen, denn Kunst und Sachunterricht kann man einfacher nachmittags organisch im Familienalltag mitmachen. Aber was ich eigentlich will, ist egal.
“Wir machen jetzt Sport,” sagt die Tochter,”und dann muss ich Mathe machen und zwei Sätze im Deutschbuch abschreiben und eine Fibelseite und eine “Lies mal”-Seite und dann ist Pause und dann machen wir Kunst!” ZACK!

Da sie überzeugend wirkt und mir keine Gegenargumente bei diesem ambitionierten Plan einfallen, lass ich sie machen. Die Kinder turnen (teils noch im Schlafi) zur Sportstunde von Alba Berlin und ich räume etwas im Haushalt auf.

10:00 Uhr // Die Zwillinge sitzen in ihrem Zimmer am Schreibtisch und die Prinzessin arbeitet in der Tat knallhart ihr angekündigtes Programm ab. Der große Sohn (nun auch endlich angekleidet) mag nur lesen und davon sehr viel. Eine Seite um die andere macht er im”Lies mal”-Heft und weist jeden alternativen Vorschlag meinerseits weit von sich.

Lesen ist aber sicherlich eine gute Idee in der ersten Klasse und wenn am Ende Lücken im Plan bleiben, können wir am Wochenende noch schauen oder in den “Osterferien”. Ich bin froh, dass er freiwillig an Schulaufgaben sitzt.

Der Krümel hat sich derweil in sein Zimmer zurückgezogen und demonstrativ die Tür geschlossen. Er mache Home Office, sagt er.

Diese Woche ist schon anders als die erste Woche Ausnahmezustand

Diese zweite Woche ist anders als die erste, durch die wir ebenfalls mit relativem Gleichmut, aber viel mehr Versuch zur Struktur gingen. Ich lasse laufen, sage mehr “ja”. Ich mag nicht unnötig streiten und mich aufreiben an kleinen Konflikten, kämpfen um Regeln. Es kostet zuviel Energie und wir gewinnen nicht dadurch, wenn wir es “perfekt” rocken hier. Am Wochenende hatte ich einen ekelhaften Tiefpunkt, als mich die Erkenntnis traf, dass es zwar gerade läuft, aber ich nicht weiß, wie lange ich das so schaffe.

11:30 Uhr // Bei zwei von drei Kindern ist die Konzentration schon etwas hinüber, bei drei von drei ist Hungersnot ausgebrochen. Ich mache “Mittagsessen” aus Kühlschrank-Fundstücken. Es gibt irgendwas mit diesem und jedem. Die Kinder finden es super.

Und ich frage mich, ob nun alle Familien solche Unmengen Lebensmittel am Tag durchjagen? Schon ein normaler Einkauf für unsere Familie füllt einen großen Einkaufswagen und reicht maximal drei Tage. Wenn ich versuchen würde, für eine komplette Woche einzukaufen, würde jeder Hamster blass vor Neid.
Doch durch die permanente Anwesenheit aller zu Hause, ohne Mahlzeiten in Kindergarten, Schule oder Büro, geht hier gefühlt die Ration einer Großkantine täglich durch.

Es sind keine Corona-Ferien, kein Urlaub, keine Auszeit

12:00 Uhr // Ich koche mir noch einen Kaffee, der Traummann kehrt heim. Es gibt eine kurze Zusammenfassung des Vormittags von uns, die Kinder stürmen in den Garten, ich ins heimische Büro. JETZT muss ich arbeiten.

Da die Familie wohl zu einem Waldspaziergang aufgebrochen ist (Bewegung an der frischen Luft!), kann ich recht in Ruhe arbeiten. Heute jagt ein Telefongespräch die nächste Videokonferenz und auch wenn ich jahrelange Routine in der Teamarbeit aus dem Home Office habe: Es ist nicht immer pillepalle und fordert gerade bei einer Redaktionskonferenz mit 12 anderen Personen reichlich Konzentration.

Kerstin motiviert im Home Office – Protipp: bei Videocalls etwas andere Mimik aufsetzen

Um 17 Uhr möchte ich mich winselnd daniederlegen vor Müdigkeit, aber ich tu es nicht. Ich nehme den Laptop mit runter und versuche halb im chaotischen Familienabend noch ein wenig vom Esstisch zu erledigen, während der Mann kocht und die Kinder fernsehen dürfen.

Ich habe ihre Medienzeit über den Tag nicht im Blick, sie ist vermutlich auch noch human. Wobei sie am Rechner lernen dürfen für die Schule, das Tablet nicht nur Lern-Apps drauf hat, sie mit Freunden und Paten skypen und ziemlich oft den Fernseher anschalten können… Allen, die auch im Ausnahmezustand oder gerade dann ihre Kinder Medienkompetenz beibringen wollen, sie beim Umgang mit digitalen Medien begleiten möchten, sei das aktuelle Buch von Patricia ans Herz gelegt.

Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!
Mit Kindern tiefenentspannt durch den Mediendschungel **

Neue Gewohnheiten mit neuen Medien

18:00 Uhr // Wir essen, gemeinsam am Tisch. Manches an Routine hat es dann doch in den Ausnahmezustand geschafft.
Der Abend hat mittlerweile sogar seinen ganz eigenen Corona-Rhythmus, wenn die Kinder erst ein nochmal ein wenig netflixen (Es war einmal das Leben…) nach dem Abendessen, sich dann umziehen und mit geputzten Zähnen auf dem Sofa Oma und Opa anrufen via Skype. Opa liest “Michel aus Lönneberga” vor und die Kinder lauschen, während wir aufräumen.

Vor 20:00 Uhr sind sie kaum im Bett und wir erschöpft auf dem Sofa. Ich setzte mich meist noch für eine knappe Stunde an die Arbeit, aber heute schaffe ich nichtmal das mehr. Ich will nicht klagen, denn es läuft gut.

Wir haben ziemliches Glück, dass ich so unkompliziert von zu Hause arbeiten kann. Dass ich tolle Kollegen habe, die als Team wunderbar funktionieren. Dass wir keine Kurzarbeit haben und unsere Jobs nicht akut bedroht sind.

Wir schaffen die Betreuung der Kinder zu Hause ohne Notbetreuung und Großeltern in Anspruch zu nehmen. Das Thema Home Schooling läuft nicht reibungslos und ganz sicher werden unsere Kidner nicht zu kleinen übergeförderten Professoren in der Quarantäne, aber sie werden nicht vollständig den Anschluss und wir vollständig den Verstand verlieren. Das ist doch durchaus etwas. Ich bin stolz, dass sie die aktuelle Situation so gut meistern.

Aber wir sind müde und ich darf nicht darüber nachdenken, was noch alles kommt oder kommen könnte. Wir gehen Schritt für Schritt und auf Sicht.

Eure Kerstin

Anmerkungen:

* Ich habe nichts gegen ganz viele Blogposts und Inspirationen rund um das Thema”Wie beschäftige ich jetzt meine Kinder”, denn die sind für ganz viele Familien gerade sicherlich super hilfreich.
Die einen haben vielleicht Langeweile, die anderen brauchen dringend eine schöne Ablenkung von ihren erdrückenden Sorgen, manche müssen dem drohenden Budenkoller bei der Quarantäne auf engem Raum entgegenwirken: Nur gerade nicht meine Baustelle. Dieser Ausnahmezustand erwischt uns alle anders.
** Ihr könnt das ganz wunderbar auch im lokalen Buchhandel bestellen, der wie andere kleinere Unternehmen sicherlich sehr unter der aktuellen Situation leidet. Die meisten bieten kostenlose Bestellservices an.
Die Erwähnung des Buchs kann als Werbung gelesen werden, denn ich bekam ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Kerstin ist Mitte 30, seit Sommer 2013 Mutter von einem Zwillingspärchen. Der Sonnenschein, seine Zwillingsschwester die Prinzessin und das kleine Krümelchen (2015) halten sie gut auf Trab, wenn sie nicht gerade arbeitet, bastelt, backt, liest, im Netz rumwühlt,… Gerne macht sie auch alles gleichzeitig. Der beste Ehemann der Welt passt schon auf, dass das Chaos nicht ausartet.

5 comments

  1. Oh, Kerstin. Bei diesem Pensum wäre ich schon im Burnout.Ich habe es einen Tag versucht, aber mein Schädel hat am Abend und am nächsten Morgen derart gebrummt, dass ich nun komplett zu Hause bin – als Hausfrau, Mutter, Lehrerin, Betreuerin, Seelsorgerin, Köchin, manchmal auch als Drachen, weil diese permanente Verfügbarkeit, die die Kinder zu nutzen wissen, an den Nerven zerrt. 😉

    Der Mann ist im Home Office mittendrin statt nur dabei.

    Mittlerweile haben wir sogar ein wenig Struktur. In der Woche bestehe ich darauf, dass beim Frühstück alle angezogen sind, am Wochenende nicht. So merkt man wenigstens einen Unterschied. Ok, der Papa sitzt am WE auch nicht die ganze Zeit vor dem Laptop.
    Anderes ist aufgeweicht: N*tella gibt es nicht mehr nur am WE. Die Kinder freut’s. Mich auch. :-D.
    Danach gibt es in der Woche Schule, dann Mittagessen, dann TV o.ä., Vesper, rausgehen, Abendessen, Bett (leider eher später als sonst – zumindest bei den Kindern). Nach ein paar Tagen hab ich auch Medienzeiten eingeführt. Vormittags zwischen 9 und 11 Uhr und nachmittags zwischen 13 und 15 Uhr jeweils eine halbe Stunde für jeden. Vorher haben alle gefühlt nur gewartet, bis das Tablet endluch wieder frei ist.
    Am Wochenende läuft alles ohne Plan.

    Und zum Thema Einkaufen: ist hier das gleiche. Ich wünschte mir schon vor Corona manchmal einen größeren Wagen…
    Letztens wurde mir der Einkauf von einem Mitbürger vermiest, der mich süffisant fragte, ob das denn schon Hamstern wäre. Meine Laune war hinüber, wo sie doch schon vor dem Einkauf nicht die beste war. Der kann sich wahrscheinlich nicht vorstellen, dass 5 Leute wohl ca. die fünffache Menge seines Einkaufs brauchen…

    Sei lieb gegrüßt und pass auf dich auf!

  2. Liebe Kerstin,
    Ich lese deinen Blog unglaublich gerne, weil du einfach zeigst, was Familie wirklich bedeutet.

    Hier ist es auch eher quaotisch, als organisiert.
    Ich bin normalerweise mit dem kleinsten ( letzte Woche erst 3) zu Hause, die beiden anderen sind in der 1. und 4. Klasse.
    Leider hat zumindest die kleine ich wenig Material vor der Schließung bekommen, so dass ich auch noch ständig auf der Suche nach Aufgaben bin, die bei ihrem Lernstand sinnvoll sind, sie vielleicht weiter bringen.
    Auf die Post der Klassenlehrerin warte ich bis heute ( Samstag vor den Osterferien)
    Bei der großen steht die Klassenlehrerin per E-Mail und Whatsapp bereit und ist wirklich bemüht.

    Wir machen auch morgens 2 x 45 Minuten Aufgaben
    Eine Sportstunde von Alba und nachmittags gibt es eine ausgedehnte Medienzeit.

    Einkaufen geht der supermann abends nach der Arbeit…

    Ich hoffe, ihr schafft es weiterhin, relativ entspannt durch die Schulfreie Zeit

    Ganz herzliche Grüße

    Clairice

  3. Ich habe mit den zwei Kitakindern, die nun den ganzen Tag zu Hause sind auch das Gefühl, die futtern uns noch die Haare vom Kopf… der Mann geht weiter arbeiten im „systemrelevanten“ Job, ich mache Kinder, etwas Homeoffice und wenn es passt kurz ins Büro. Läuft irgendwie 😃. Abr das viele Essen… ist man ja im normalen Alltag nicht mehr gewöhnt gewesen.
    Halte durch und bleibt alle gesund. Lg

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