Da ich aktuell ja mich sehr dolle bemühe, ein wenig zu entspannen und ganz entspannt dieses Mutter-Kind-Kur-Zeug durchziehe, gibt es für euch hier mal einen Text einer anderen Zwillingsmutti zu lesen. Einer mit doppelkindern. Der Juli nämlich. Die kann auch schreiben (ich will nur nicht zugeben, dass sie das besser kann als ich) und wohnt bei mir fast nebenan. Trotzdem kommunizieren wir zu 99% via Instagram. Aber wenn man einmal erlebt hat, wie wir versuchen zu telefonieren, ist es vermutlich auch sicherer so.
Sandige Grüße sendet,
Eure Kerstin
Nach mehr als zweieinhalb Jahren im Zwillingsmama-Business kann ich eines mit Sicherheit sagen:
Nichts bleibt wie es ist. Keine Phase, kein Schub, keine Laune, kein Tief – aber auch kein Hoch währt ewig. Doch dass auch die Persönlichkeiten der Kinder einen bunten Wechselreigen betreiben,hätte ich vor der Geburt nicht gedacht. Der Erstgeborene war mit 2600 Gramm im Vergleich zu seinem 3-Kilo-Bruder ein ziemliches Fliegengewicht. Doch das machte er mit Persönlichkeit wett.
Er erschien überraschend unabhängig für ein Baby, holte sich zwar seine Muttermilch an der Brust ab, forderte auch Nähe ein, wenn es ums Schlafen ging, doch hatten wir bei Zwillbo Eins schon nach kurzer Zeit ziemlich deutlich das Gefühl, dass er irgendwie „sein Ding“ macht.
Der Zweitgeborene hingegen wollte vor allem eins – oder besser gesagt Eine: Mama. Während sein Bruder auch durchaus mit dem Zwillingsvater vorlieb nahm, hätte Nummer Zwei am liebsten den Tag stillenderweise an meiner Brust zugebracht. Aua. Insgesamt macht Zwillbo Zwo den Eindruck, viel bedürftiger zu sein. Zwar schliefen beide Kinder in den ersten acht Wochen vornehmlich auf anstatt neben uns. Doch konnte der Zweitgeborene von mütterlichem Körperkontakt gart nicht genug bekommen. Und machte dies unmissverständlich klar, während sein Zwilling auch durchaus schon mal aus Versehen alleine irgendwo im Liegen einschlummerte.
Nach etwas drei Monaten auf dieser Welt legten die Kinder – scheinbar einer geheimen Absprache folgend – die Schalter um. Zwillbo Zwei beschränkte seine Kuscheleinheiten auf die Nacht und begann tagsüber, die Welt zu erforschen, nach allem zu greifen, was nicht niet- und nagelfest war und mit großen Augen das Geschehen um sich herum in sich aufzusaugen. Zeitgleich wurde aus dem Erstgeborenen ein kleines Klammeräffchen. Fortan schlief er noch lieber in der Trage als zu Beginn, Tage ohne mehr oder weniger dauerhaften Körperkontakt waren so ziemlich alles außer erwünscht.
Der Zwillingspapa und ich staunten nicht schlecht ob dieses Wechsels. Schließlich griffen wir als Anfänger-Eltern noch nach jedem Strohhalm, der auch nur ansatzweise die Aufschrift „Konstante“ zu tragen schien. Doch im Laufe der Monate stellten wir fest: Als Eltern kannst du dir im Grunde genommen bei so gut wie gar nichts sicher sein. Außer vielleicht beim horrenden Windelverbrauch und beim Schlafmangel. Darauf ist Verlass. Aber zumindest bezüglich letzterem soll es ja auch Ausnahmebabys geben, die nachts darauf verzichten, aktiv Zeit mit ihren Eltern zu verbringen. Unsere gehörten nicht dazu.
Irgendwann erkannten wir, dass immer ein Zwilling den etwas selbstsichereren, forscheren Part übernimmt, während der andere in seinem Windschatten segelt.
Stets erfolgte nach etwa drei bis sechs Monaten ein Rollentausch. Hey – das ist doch eine Konstante in der Inkonstanz!
Der Zweitgeborene war lange Zeit der geräuschempfindlichere von beiden. Aktuell kann ihm eigentlich kein Motor und kein Getöse zu laut sein – dann lacht er, dass die Wände wackeln. Der Erstgeborene hingegen, neben dem man monatelang exzessiv im Thermomix Nüsse schreddern konnte, ohne dass er auch nur gezuckt hätte, ist aktuell beim kleinsten Geklapper zutiefst beunruhigt.
Etwa zwei Jahre lang wäre es Zwillbo Zwei nicht eingefallen, ohne elterlichen Körperkontakt einzuschlafen. Im Gegenteil: Am liebsten trat er auch noch als Kleinkind den Weg ins Traumland an, indem er mindestens halb auf einem Elternteil lag. Vorzugsweise auf mir. Sein eine Minute älterer Bruder rollte sich hingegen irgendwann einfach neben uns ein, gab dem Sandmann ein High Five und war durch mit der Einschlafbegleitung. Seit gut drei Monaten ist es genau umgekehrt und Nummer Eins scheint kurz vorm Einschlummern noch einmal alle Kuscheltanks randvoll machen
zu müssen, während sein Bruder mehr oder weniger unbeeindruckt von meiner oder der väterlichen Anwesenheit wegpennt.
Während der Zweite die Autonomiephase tendenziell mit Impulsivität und Wut abfeiert, neigt sein Zwilling zu Tränen der Verzweiflung und irgendwie zu einer sensibleren Art der Emotionalität. Er trauert eher als dass er wütet. Faszinierend ist es einmal mehr zu beobachten, wie zwei Kinder zeitgleich und doch unterschiedlich ihre Entwicklungsschritte vollziehen. Zu sehen, wie dynamisch all diese Prozesse sind, wie unterschiedlich sie ihren Weg gehen, der einerseits der Selbe ist, weil sie ihn gemeinsam beschreiten, den jedoch jeder von ihnen auf seine Art bewältigt. Wie durch ein unsichtbares Band verbunden, scheinen sie stets ganz genau zu wissen, wer von ihnen gerade mal ein kleines Stück vorangehen muss, damit der andere mit sicherem Gefühl folgen kann. Ich wünsche mir ein bisschen, dass sie diese feinen Antennen füreinander niemals ganz verlieren, auch wenn eines Tages ein jeder von ihnen seines eigenen Weges zieht.