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Kerstin - Coronabedingt müde und am rasten

Ich mache jetzt auf dicke Eierstöcke

Rantatata! Da schweigse hier die ganze Zeit und meldest dich mit einem wutschnaubenden Rant das erste Mal wieder. Aber so isses – müssen mich erst absurde Emotionen aus der corona-erschöpfungsbedingten Schreibfaulheit reißen.

Dabei ist der gar nicht wutschnaubend:
Eher augenrollend las ich heute früh – völlig übermüdet als hätte ich drei bis vier Säuglinge im Haus – ein Posting eines „Head of irgendwas-mit-Kommunikation“ eines Unternehmens, das nicht als kleine Klitsche bezeichnet werden kann. Oder vielleicht doch, aber das wäre die fußballpolitische Sicht einer Dortmunderin.

Das Augenrollen lies mich sarkastisch kommentieren. Und twittern, bevor ich darüber nachdenken konnte, ob ich mich zu sowas äußern möchte. 

Da bejubelte sich jemannd, der eine Führungsrolle hat und Kommunikation als Beruf, mit dem Umstand, dass er sich nun einen Monat in Elternzeit begebe. Großspurige Beiträge auf Karrierennetzwerken gehören ja zum Handwerk. Geschenkt. Aber so? Und in den Kommentaren Jubel für die tolle Entscheidung.

Und ich so HÄÄÄÄÄÄÄÄ??????

Stellen wir uns mal vor, ich würde posten:

„Ich nehme Elternzeit“
Als dies meine Kollegin vor ein paar Monaten mutig verkündete war es auch für mich klar, dass ich mit Geburt meines Kindes einen ganzen Monat lang nicht am Schreibtisch sitzen werde. Ich werde mich voll und ganz auf meine Mutterrolle konzentrieren!
Ich nehme Elternzeit!
Ich freue mich darauf, einen Monat mit meiner kleinen Familie zu verbringen und meinen Mann mit unserem Baby zu unterstützen. 
Wir sehen uns in einem Monat!

Und in den Kommentaren alle so:

  • Du bist so progressiv, Kerstin!
  • So eine wertvolle Zeit. Du machst das richtig, Kerstin!
  • Was eine tolle Mutter!
  • Diese Zeit kann dir keiner nehmen!
  • Es wird eine wertvolle Erfahrung sein!

Meine Followerschaft prostet mir virtuell zu. Frau klopft mir auf die Schulter. Boxershorts fliegen auf die Bühne. Kollegen wollen Kinder von mir und im Postfach stapeln sich die Jobangebote.

WHAT? 

Mir liegt es absolut fern, Eltern für ihre sehr individuelle Entscheidung, wer wieviel (und ob überhaupt!) Elternzeit nimmt zu kritisieren. Dieses Thema ist komplex und zudem persönlich. Aber wenn ein Kerl sich großspurig damit brüstet, dass er unfassbare 4 Wochen sich voll auf die Vaterschaft konzentriert und alle applaudieren, dann zuckt es in meinem Auge.

Ich bin nicht gerade als laute Feministin bekannt, auch wenn ich nicht leugnen kann, dass meine Überzeugungen ziemlich klar sind. (Will ich auch gar nicht) Das liegt auch daran, dass ich selten auf Angriff gepolt bin, im öffentlichen Diskurs ziemlich harmlos und kompromissbereit bin. Aber manchmal überkommt es mich dann spontan, dass ich mich auskotzen mag.

Warum werden Männer für die kleinsten Schritte gefeiert und der Status des Familienvaters pusht die Karriere, während es bei Frauen der absolute Dämpfer ist?

Warum ist das IMMER NOCH so? Wir haben 2020.

Du hast Elternzeit genommen, Kerstin?
Das finde ich super. Nimm diese Blumen zum Dank für deine Hingabe.

Du hast sogar mehr als ein halbes Jahr genommen?
Hier da hast du deine Gehaltserhöhung!

Du kannst einen Kinderwagen schieben und gehst freiwillig auf einen Spielplatz?
Lasset die Headhunter los!

Du hast ernsthaft drei Kinder? Unfassbar wie produktiv du bist, Kerstin!
Hier der Vorstandsposten!

Und ich habe sogar als hocheffiziente „Head of irgendwas-mit-Kommunikation“ Zwillinge – also zwei auf einmal – gelauncht!

Ich habe einen tollen Mann und lebe in einer gleichberechtigten/gleichbefähigten Partnerschaft. Aber ich werde wütend, wenn ich für diesen Umstand dankbar sein soll oder merke, wie exotisch gerade die Selbstverständlichkeit dieses Umstands bei uns ist.

Niemand aus dem beruflichen Umfeld hat je meinen Mann gefragt, wie er das so organisiert mit drei Kindern neben dem Beruf. Niemand fragt ihn, wer auf die Kinder aufpasst, wenn er abends nicht daheim ist. (Er stellt sich die Frage sehr wohl und seine Antwort lautet NIE „Kerstin macht das schon irgendwie.“)

Ich finde gerade ersteres aber eine berechtigte Frage, nur stellt sie bitte mir NIEMALS, wenn ihr nicht auch Väter fragen würdet. „Wie machst du das?“, aus ehrlichem Interesse und ein „wie können wir dich dabei unterstützen?“ aus Arbeitgebersicht noch direkt dazu. Lasst uns gerne über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie reden. Gerne auch im Vorstellungsgespräch, denn so könntet ihr mich als hochqualifizierte Person gewinnen. 

Aber da sind wir nicht! Noch lange nicht!

Familie pusht die Karriere, Familie bremst die Karriere. Kommt halt auf dein Geschlecht an.

Ich mache ab jetzt auf dicke Eierstöcke und lass mich feiern, dass ich ein Baby wickeln kann und sogar zwei stereo füttern, dass ich heute sogar den Sohn pünktlich vom Sport abhole, dass ich daheim manchmal relativ erfolgreich mitdenke und meinem Mann im Haushalt helfe. Ich lasse mich feiern, dass ich drei Kinder geboren habe und sie nicht nur am Wochenende sehe, dass ich heute die Wäsche aufgehangen habe und mein Mann mich nicht daran erinnern musste, dass ich auf dem Heimweg vom Büro Brot mitbringen muss.

Und jetzt bitte ich um den Bundesverdienstorden, eine Gehaltserhöhung und ein Denkmal auf dem Marktplatz. Ich habe es verdient

Eure emotional etwas aufgeladene
Kerstin

P.S.: Persönlich will ich niemanden angreifen. Es ist jedem Elternteil/paar/trio selbst überlassen, wieviel Elternzeit er/sie nimmt und wie die Elternrolle definiert wird. Mir geht es um die Kommunikation und die Resonanz in einem Karrierenetzwerk.

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