Es ist Ende März 2013 und ich mutiere so langsam zu einem dicken Nilpferd. Optisch und vor allem gefühlt. Bewegung fällt mir immer schwerer, mein Ehering passt schon lange nicht mehr auf meinen Finger und baumelt an einer Kette um den Hals. Schicke Schuhe kann ich vergessen. Es gibt kaum noch Schuhe, in die ich überhaupt reinkomme. Mit grob geschätzten 20 kg zusätzlichem Gewicht fühle ich mich anmutig wie das eingangs erwähnte große graue Flusspferd auf dem Trockenen.
Mit all dieser Anmut schleppen wir uns zu unserem ersten Treffen mit dem Geburtsvorbereitungskurs. Die Blicke der anderen besagen „Was will die denn hier noch so kurz vor knapp?“ Kurz vor knapp ist gut. Anfang der 22. Schwangerschaftswoche mag ich vielleicht den dicksten Bauch im Raum haben, aber unser Termin liegt noch am weitesten in der Ferne. Zumindest theoretisch. Denn darüber werden wir direkt aufgeklärt: bei Zwillingen ist ja alles anders, die kommen meist deutlich früher.
Wir üben Kuh-Katze und versuche verzweifelt auf den Yoga-Matten-Stillkissen-Bergen halbwegs bequem zu sitz-liegen, während der zukünftige Zwillingspapa skeptisch die Anweisungen befolgt und mich massiert. Ich bin der Exot im Kurs. Die auf die eigentlich nichts zutrifft. Wir dürfen ein bisschen mitmachen, aber eigentlich…
Ein Flusspferd im Tal der Tränen
Eigentlich kann ich übrigens überhaupt nicht mehr bequem sitzen! Sobald ich länger als eine halbe Stunde aufrecht sitze, rebellieren meine Bauchzwerge und nehmen ihr Quartier auseinander, dass jede Rockband neidisch werden würde. Ich bekomme Rückenschmerzen und immer häufiger auch Krämpfe. Das schlägt mir aufs Gemüt.
Ab der 25. Woche wird auch das Liegen nahezu unmöglich und an Schlaf ist kaum zu denken. Rechts liegt die Prinzessin und mag es nicht, wenn ich mich auf diese Seite bette. Mir bleiben nur noch wenige schmerzfreie Positionen und finde ich eine ebensolche, dann starten die Minis Party im Bauch, dass Mama nicht schlafen kann.
Ich habe einen Hänger. Einen ganz ausgeprägten Hänger. Alles schmerzt. Ich fühle mich dick und unbeweglich. Wir können kaum noch etwas unternehmen, denn ich kann nicht mehr lange stehen, gehen oder sitzen. Ich habe Angst vor einer Frühgeburt. Ich muss ja Angst haben. Alle sagen, dass Zwillinge immer zu früh kommen. Ich kann kaum noch arbeiten, denn ich kann ja kaum noch sitzen. Ich habe Langeweile. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, dass ich so überhaupt keinen Nestbautrieb verspüre bisher. Der zukünftige Papa brachte wenigstens zwei Bodys mit aus der Stadt. Aber ich?
Babymärkte überfordern mich. Jedes Mal, wenn wir in einen betreten, nehme ich mir nun vor irgendwas zu kaufen. Etwas niedliches. Etwas süßes. Irgendwas. Aber was?
Was brauchen wir überhaupt? Was soll das hier sein? Was soll man damit anfangen? Was für eine Kleidergröße werden sie denn wohl anfangs haben? Ich bin völlig überfordert in diesen babyblau-rosa Vorhöllen und kaufe genau nichts. Bin ich nicht normal? Was stimmt mit mir nicht?
Ihr merkt. Langeweile vor lauter Nichtstun, zuviel Zeit nachzudenken, zuviele Leute, die einem Quatsch einreden und dann noch die Hormonkeule – eine ganz dämliche Kombination. Mein Traummann hat alle Mühe mich bei Laune zu halten und verzweifelt zunehmend an meinen Essgewohnheiten. Jeden Tag fragt er mich, was ich denn gerne essen wollen würde. Und jeden Tag (es wird sich bis zum Ende der Schwangerschaft nicht mehr ändern) antworte ich: „Heute hätte ich total Lust auf Salat.“ Salat. Ja. Ich ernähre mich vorwiegend von Äpfeln, Salat und Unmengen Milchreis.
In der 26. Schwangerschaftswoche beginnt mein Aqua-Fit-Kurs für Schwangere. 10 runde Kugelfische in einem Becken unter Anweisung einer strengen Hebamme. Ich fühle mich leicht wie eine Feder. Ich bin eine Elfe! Ich darf nur nicht aus dem Wasser raus. Muss ich aber jedes Mal irgendwann dann doch.
Mittlerweile haben beide Bauchzwerge jeder die 1000 g Marke überschritten und ich beginne ganz langsam mit dem „Nestbau“. Auf Drängen des Traummanns, der das wohl hauptsächlich für das Gemüt seiner Frau tat, haben wir Stoffe und Tapeten ausgesucht. Ich nähe nun die Gardinen. Was ein Projekt.
Zum Abmessen, Zuschneiden und Abstecken müsste ich auf dem Boden rumrutschen. Als anmutiges Flusspferd muss ich diese Aufgaben delegieren. Der zukünftige Zwillingspapa muss unter meiner strengen Aufsicht ran. Da ich kaum noch aufrecht sitzen kann, nähe ich die Gardinen in fünf Etappen. Meine viel zu kurzen Arme kämpfen sich am Bauch vorbei zur Nähmaschine. Aber ich nähe! Was ein Erfolgserlebnis.
Außenseiter und Zuschauer im Geburtsvorbereitungskurs
Mit dem Geburtsvorbereitungskurs besichtigen wir den Kreißsaal des Krankenhauses. Wir dürfen gnädigerweise auch mit und gucken, obwohl wir hier ja sicher nicht entbinden werden. Es ist eben keine große Klinik und es gibt keine Neo, keine Säuglingsstation, nicht einmal einen Kinderarzt. Der Kurs artet immer mehr zu einem „Kerstin darf mal gucken, aber…“ aus. Stillen? Mit Zwillingen eher nicht. Spontane Geburt? Bei Zwillingen ist doch eher der Kaiserschnitt wahrscheinlich.
Naja, aber die anderen Paare sind nett und gucken nur ein bisschen entsetzt als wir beim letzten Treffen gestehen, dass im zukünftigen Kinderzimmer immer noch mein Büro ist. Alle anderen haben ihre Zimmer schon fertig und die Schränke eingeräumt! Oha, wir sind wirklich von der eher langsamen Sorte.
Die 29. Schwangerschaftswoche ist geprägt von heftigen Schmerzen. Die Kontrolle beim Frauenarzt bescheinigt die Ursache: der kleine Kerl hat sich in Startposition gebracht. Sein Purzelbaum war für Mama schmerzhaft und nun liegt er mit seinem Köpfen direkt über dem Ausgang. Das CTG bescheinigt ordentliche Wehen. Doch der Arzt ist zuversichtlich, dass wir noch 6 Wochen so zusammen schaffen.
Und wir starten fröhlich in den Endspurt. Ich höre offiziell auf zu arbeiten (zumindest fast). Das Büro wird leergeräumt, wir bestellen den Kinderwagen und ich kaufe einer Zwillingsmama einfach zwei Kartons Kleidung ab. Das wird schon reichen. So richtig engagiert bin ich da immer noch nicht.
Mehr als eine Woche später suche ich abends auf dem Sofa mal wieder eine bequeme Position und finde sie nicht. Ich habe Schmerzen. Heftige Schmerzen. Es dauert nicht lange und ich ernte skeptische Blicke von nebenan. „Alles in Ordnung?“ – „Ja.“ Aber nichts ist in Ordnung. Ich kann diese Schmerzen nicht einordnen. Kann auch nicht mehr verbergen, dass ich Schmerzen habe. Der Bauch schmerzt höllisch. Das werden doch wohl nicht Wehen sein? Dem Traummann wird es zu bunt. Er packt seine stöhnende Frau ein und fährt das unhandliche Dreierpack ins nahe Krankenhaus.
Eben jenes Krankenhaus bei uns vor Ort, das kleine nette Krankenhaus. Die diensthabende Hebamme und die Ärztin im Nachtdienst freuen sich. Es ist nichts los und Zwillinge hat man hier nicht alle Tage. Ich werde gründlich untersucht und durchleuchtet. Das CTG bescheinigt Wehen. Wie immer. Aber nichts aufregendes. Die Diagnose nach dem Ultraschall: Prinzessin hat sich neben ihren Bruder gelegt, Kopf nach unten. Eigentlich war dafür überhaupt kein Platz mehr. Gar keiner mehr. Aber sie hat sich dahin gekämpft gegen alle Widerstände. Die Widerstände waren dann wohl ich bzw. mein Bauch und ihr Kampf waren meine Schmerzen.
Eine durchsetzungsstarke kleine Persönlichkeit. Ich bettle sie an, dass sie nun bitte dort bleiben möge! Noch einen Purzelbaum überstehe ich nicht und überhaupt, wenn sie so liegen bleiben würden, dann hätten wir eine Chance. Eine Chance ohne Kaiserschnitt davon zu kommen. Es ist Ende Mai 2013 und die beiden Zwerge haben nun sogar schon Namen.
Wir sind startklar für den Endspurt!
Alle Beiträge meiner Zwillingsschwangerschaft:
- Teil 1: Ein bisschen schwanger oder wie alles begann…
- Teil 2: Kinderwagensuche mit Kugelbauch
- Teil 3: Von den Bahnreisen einer unheimlich attraktiven Frau mit dickem Bauch
- Teil 4: Vom die Geburt vorbereitenden Kurs, Purzelbäumen und Flusspferden
- Teil 5: Vom Sommer, dem Sofa, doofem TV und einem großen Finale!