Jedes Kind ist anders. Und jedes Kind fordert seine Eltern ganz anders. Blabla… Kennen wir den Kram. Jetzt habe ich drei Exemplare im heimischen Haushalt versammelt und kann das selbstverständlich bestätigen.
Klar, die ersten beiden sind Zwillinge. Aber davon ab, dass es ein zweieiiges Zwillingspärchen ist, sind sie selbstverständlich total unterschiedlich. Und waren es schon immer. Auch und vor allem im Naturell.
Da ist der fröhliche, temperamentvolle Sonnenschein. Der früh viel lachte und ein echt angenehmes Baby war. So zufrieden. Außer nachts. Da brauchte er viel Nähe. Seine Zwillingsschwester war da ganz anders und forderte immer angemessenes Unterhaltungsprogramm, hatte dafür aber nachts gerne ihre Ruhe.
Zwei Anfängerbabys. Nicht, dass sie früh durchschliefen oder wir den ganzen Tag total entspannt chillten. Aber unterm Strich, waren die beiden entspannt. Ich habe nicht nur einmal gehört, ob ich denn wohl so entspannt sei, weil meine Babys es seien oder ob die es wären, weil wir so sind. Wayne. Wir waren es eben.
Und es gibt diese High-Need-Babys aka Schreibabys (Vermutlich packe ich da jetzt unwissend zwei nicht zusammengehörende Dinge in einen Topf? Oder passt das?), von denen ich immer gelesen habe. Die muss es wohl geben. Die haben dann ziemlich unentspannte Eltern. Wobei die Kausalkette hier eindeutiger anmutet. Kann ich aber keine Details zu liefern. High Need Babys kenne ich nicht. Habe ich nicht.
Denn auch der Krümel ist ein total zufriedenes kleines Kerlchen. Trotzdem wurde ich neulich als überspannte Helikoptermutter bezeichnet. Wie konnte es dazu kommen? 😮 Beim dritten Kind!
Anfängereltern beim dritten Anfängerbaby
Wir sind keine unerfahrenden Eltern mehr. Wir haben sogar zwei Kindchen gleichzeitig schon geschaukelt und das selig, entspannt grinsend gewuppt. Voll gechillt und so.
Nun, der eine Punkt mag sein, dass man beim dritten Kind zwar total routiniert und krass erfahren ist, aber leider eben auch schon zwei ebenfalls aufmerksamkeitsbedürftige Exemplare nebenher hat. Das kann den Stresspegel grundsätzlich schon einmal auf ein anderes Niveau heben. (Kann. Muss nicht.)
Zudem ist halt jedes Kind anders – erinnert euch an die krasse Floskel der Einleitung – und die ganze Erfahrung ist fürn Arsch.
Krümel ist ein ziemlich äh…anders… hmmm… wie kann man es ausdrücken… ähm… aufregendes Kind? “Kamikaze” höre ich immer wieder. “Abrissbirne auf Speed” wäre auch so eine mögliche Beschreibung. Vermutlich passt der Ausdruck “betreuungsintensiv”, den der Patenonkel neulich lachend fallen lies, ganz gut. Denn ja, beim Krümel muss man lachen. Ungläubig grinsen. Aber man kommt nicht umhin, seine Energie zu fürchten.
Krümel war von Anfang an ein zufriedenes Baby. Der Ausdruck “entspannt” passt bei ihm aber nicht so wirklich. Er ist zwar das einzige meiner drei Kinder, dass sich schon früh einfach in Kissen kuschelte und mal kurz ne Pause einschob, aber man wusste nie wie lange, die gerade anhält. Denn Krümel hat viel vor. Im September geboren, drehte er sich schon vor dem Jahreswechsel auf den Bauch, stemmte sich bald darauf auf seine vier kräftigen Gliedmaße und setzte sich kaum war er sechs Monate zügig auf ebendiesen in Bewegung. Er war nicht zu bremsen.
Der Krümelchaot
Er kletterte auf Möbelstücke, bevor ihm überhaupt klar war, dass es sowas wie Höhenunterschiede gibt. Wie oft habe ich das Kind vor Abstürzen vom Sofa retten müssen, einfach weil er nie schnallte, dass es dort bergab geht. Das räumliche Sehen brauchte länger als seine Kletterkünste. Er war keine neun Monate alt, als er einfach losmarschierte. Auf zwei Beinen. Zack.
Krümel hat seinen eigenen Plan. Man kann mit ihm einen total entspannten Tag haben, wenn man ihn machen lässt. (Und immer brav hinter ihm steht, bereit ihn aufzufangen.) Er ist zufrieden und klettert, öffnet Türen und Treppengitter, klettert auf Möbel und marschiert Treppen selbstverständlich auf zwei Beinen rauf und runter. Schon immer.
Das mit diesem umständlichen auf-den-Hosenboden-und-dann-langsam-runter-Zeugs hat er nie akzeptiert als mögliche Methode. Lieber wurde das Stummelbeinchen ausgestreckt und dann ging es vorwärts. Wird schon schiefgehen. Entweder fing einen Mama am Ärmchen noch ab oder man landete bäuchlings unten. Aber er kam unten an. Immer. (Hin und wieder auch auf dem Kopf. Auf dem Straßenpflaster. Autsch.) Also eine erfolgreiche Treppen-Technik. Aus seiner Sicht. Mutters Adrenalinpegel stieg dank dieser Technik aber dauerhaft an.*
Es macht Spaß Krümels Energie zu bewundern und ihn den ganzen Tag zu beobachten, wie er die Welt entdeckt. Aber wenn man nicht den ganzen Tag Zeit hat, den Krümel zu bewundern und im Notfall aufzufangen, dann ist dieses Kind ziemlich anstrengend. Anstrengender als seine zwei Geschwister je im Doppelpack waren.
Das glaubt mir kaum einer, der ihn nicht erlebt hat. “Klar Kerstin, Kleinkinder sind in ihrer Neugier anstrengend. Kennen wir doch alle.” Nein! Ihr kennt Krümel nicht.
Wer ihn einmal in Aktion erlebt hat, behauptet das nie wieder.
Papa lässt mich nicht an seinen Laptop? Dann gehe ich eben in den Flur, klettere auf das Schuhregal und räume geräuschvoll die Schlüssel ab. Das soll ich nicht. Also kommt Papa um die Ecke und hebt mich schimpfend vom Regal, sammelt die Schlüssel ein und meine kurzen Beine tragen mich im schnellsten Laufschritt um die Ecke, zack auf den Stuhl und YEAH! Laptop! Selbst schuld, wenn Papa seine Verteidigungslinien nicht geschlossen hält.
Mama hat die Kekse nicht auf den Tisch gestellt, sondern oben auf der Arbeitsplatte? Kein Ding, dann trage ich mir eben den schweren Esszimmerstuhl (schieben ist was für Babys) durch das Zimmer, während meine Geschwister für Ablenkung sorgen und kann ganz entspannt auf der Arbeitsplatte sitzend snacken. Da ich wenig Zeit haben werde, schiebe ich vorsichtshalber drei Kekse auf einmal in den Mund.
Krümels Taufe. Er war 10 Monate alt. Ich nervte alle mit der ständigen Frage “Wo ist Krümel? Behältst du ihn im Auge?” “Kerstin, hier sind genug Leute. Wir haben ihn alle im Blick. Entspann dich mal.” “Nein, ich will nicht, dass ihn ALLE im Blick haben, ich will einen, der sich dafür verantwortlich fühlt!”
Ich war überspannt. Man rollte die Augen. Krümel marschierte fröhlich vom Wohnzimmer in den Garten. Vom Garten ins Wohnzimmer. War hier, war dort. Er fühlte sich sichtlich wohl. (Die Terrassentür nebst Stufe nahm er übrigens damals schon aufrecht.) Und auf einmal gab es ein: “Oh Kerstin, der Krümel sitzt im Planschbecken. In Klamotte.” Krümel war einfach über den Rand geklettert, der ihm bis auf Schulterhöhe reichte. Zack. Drin war er. Waren genug Leute da, die ihn im Blick hatten.
Spielplatz. Mit meinen drei Kindern und einer Handvoll erfahrender Mütter (alle mit einem gleichaltrigen Kind). “Könnt ihr kurz auf Krümel achten, ich muss kurz… Sonnenschein muss mal.” “Klar.” …….. “Wo ist Krümel?” “Oh, eben war er doch noch…ups…” Krümel saß auf dem Klettergerüst. “Oh der ist echt verdammt schnell.” Ja, ist er.
Urlaub. Mit der Großfamilie. “Kerstin, entspann dich. Hier sind soviele, die deine Kinder im Auge haben. Lass den Kurzen doch mal laufen, du musst ihm nicht permanent hinterher, wir können ihn doch alle sehen.” Und ich sprang vom Tisch im Restaurant auf, legte einen Sprint hin, bei dem Usain Bolt vor Neid erblasst wäre, fing Krümel im Laufschritt ab und erwischte ihn über dem Pool im Flug. An meiner Hand tauchte er dann nur bis zur Windel ein.
Er wuselte über die Parzelle, Mutti versuchte ihn “entspannt machen zu lassen”, ganz viele Augen waren auf ihn gerichtet und er fand die Getränkedosen. So fix kann ich gar nicht sprinten, wie der Krümel sie ansetzt. Zumal er genau weiß, was kommt und in die entgegengesetzte Richtung mit der Dose losspurtet.
Krümel ist schnell. Verdammt schnell.
Krümel ist wendig. Wendiger als man seinem kompakten Körper zutraut.
Krümel ist stark. Sehr stark.
Krümel ist hartnäckig und gibt nicht schnell auf.
Krümel ist gewitzt und hat immer einen Plan.
Es ist gefährlich, Krümel zu unterschätzen!
Ja, ich bin eine überspannte Helikoptermutter und behalte meinen Jüngsten permanent im Auge. Ja, ich frage ständig nervös suchend “Wo ist Krümel?”, denn dann hockt er wahrscheinlich auf irgendeinem Zaun oder kauend unterm Tisch, nachdem er vom selbigen eine Tüte Chips ergattert hat. Krümel ist anders.
Ein zufriedenes kleines Kerlchen, dass es faustdick hinter den Ohren hat. Das aber auch kuschelt wie kein anderer, Körperkontakt liebt, unzählige Küsschen verteilt und sich mit zufriedenem Seufzen auf dem Sofa langstreckt, das Kissen unterm Kopf, die Kuscheldecke über die Beine gezogen. Ganz entspannt.
Frag sich nur, wie lange.
Ich schaue Krümel übrigens nicht nur deswegen ständig hinterher, weil er sich nonstop in Gefahr bringt. Sondern ganz einfach, weil es richtig Spaß macht, dieses Kind zu beobachten. Man muss einfach grinsen, wenn man ihn in Aktion erlebt. Abends falle ich auf das Sofa. Wie erschlagen. Um mich auf eine kurze Nacht mit einem Nähe bedürftigen Riesenbaby zu freuen. Meinem Riesenbaby.
Eure Kerstin
*Falls mir wer gerade kluge Ratschläge geben will: Ja, wir haben immer, immer, immer, immer wieder versucht ihn total konsequent die Methode rückwärts-auf-allen-Vieren-runterklettern nahezulegen. Erfolglos. Jetzt – mit 21 Monaten – kämen die Ratschläge auch etwas spät, denn er läuft Treppen sehr sicher. Rauf und runter. Aufrecht.